Sunday 18 December 2011

Ach du Schreck,



es ist vierter Advent! Wie konnte das nur passieren? Gerade gestern, davon bin ich überzeugt, war noch Sommer. Man siehe meinen letzten Eintrag. Auch hier bei Grimms Buchladen kommt mangels Schnee keine rechte Weihnachtsstimmung auf – meine Kunden, die mich gestern zahlreich überfielen, kaufen vorwiegend sommerartige Bücher, so wie das neue Werk von Siri Hustvedt, das ganz unpassend zur Jahreszeit, der Sommer ohne Männer heißt. Ilja Trojanows EisTau, mit einem schön gestalten Gletscherbild auf dem Titel, bleibt dagegen unbeachtet.



Dennoch: die ersten Anzeichen des BuchladenWeihnachtsWahnsinns sind nicht zu übersehen. Gestern hatte ich schon in der ersten Viertelstunde sieben Geschenke verpackt, ein Trend der sich, so fürchte ich, den Rest der Woche ungebrochen fortsetzen wird. Neulich fragte mich jemand (ganz ernsthaft!) ob es keine Einpack-Maschine gäbe. Die gibt es allerdings – sie heißt: Anna.

Für Kunden mit Ausdauer packe ich zur Zeit Jeffrey Eugenides: Die Liebeshandlung ein. Mit über 600 Seiten sollte das selbst dem eifrigsten Leser über die Feiertage reichen. Ich selbst habe gerade keine rechte Meinung auf Romane und werde mir zu Weihnachten Werner Herzog: Die Eroberung des Nutzlosen schenken. Eine Art Tagebuch seiner Dreharbeiten zu Fitzcarraldo, direkt aus dem Dschungel, ein Gedankenstrom geprägt von der bizarren Situation eines Filmteams im Urwald und der täglichen, surrealen Realität der Arbeit mit Klaus Kinski. Paßt überhaupt nicht zur Jahreszeit. Nun ja…

Dust of Snow

The way a crow
Shook down on me
The dust of snow
From a hemlock tree

Has given my heart
A change of mood
And saved some part
Of a day I had rued.

Robert Frost

Fröhliche Weihachten!

Saturday 30 July 2011

Sommer: abhanden gekommen!



Wo ist hier der Sommer, fragt mich zur Zeit fast jeder der durch die Tür kommt. Ich kann sagen: in Ägypten. Ich verbrachte dort einige Zeit mit einem Haufen Italienern, die mir, wie könnte es anders sein, lange Vorträge über die Kultur des Essens hielten. Man merke: die italienische Küche ist die beste der Welt. Ende der Diskussion. Weshalb das so ist, hat man mir ausführlich erklärt: jedes Dorf hat seine eigene, regionale, Spezialität. So. Basta.

Da kann man sich nicht wundern, daß mein Schaufenster diesmal voll mit Cantuccini, Pesto (Genovese – sehr wichtig!) und anderen essbaren Dingen ist, dazu Bücher aus dem Heimatland der Antipasti. Endlich verstehe ich auch, wie es kommt, daß in den Büchern italienischer Autoren permanent gekocht und gegessen wird, so daß man als Leser sofort Lust bekommt seine Freunde einzuladen, sich von Freunden einladen zu lassen, oder die nächste Osteria zu besuchen.



Bestes Beispiel sind die Kriminalromane des Sizilianers Andrea Camilleri. In „Die schwarze Seele des Sommers“ schägt Enzo, der Wirt, Commissario Montalbano folgendes leichtes Mittagessen vor: ein großer Teller Antipasto di Mare mit Garnelen, Krebsen, Kraken, Sardellen, Sardinen, Miesmuscheln und Venusmuscheln, gefolgt von einem Hauptgang von Meerbarben mit kleinen Zwiebelchen, gefolgt von Zitronensorbet. Schon Hunger bekommen?
In Camilleris Fall ist dies die perfekte Lösung für den überdurchschnittlich heißen Sommertag. Mir ist klar, daß das im Augenblick weit, sehr weit entfernt ist von der Realität meiner Kunden, aber man könnte ja, möglicherweise, in Abwesenheit des Sommers über den Sommer lesen?



Ich jedenfalls habe glücklicherweise eine der wenigen Sonnenstunden letzte Woche ausgenutzt und beim Italiener an der Ufer-Ecke gegenüber ein perfektes, italienisch-einfaches, sommerliches Abendessen erwischt, siehe oben. Meine Freunde aus Genoa und Rom hätten dazu sicher etwas zu sagen. Eines habe ich gelernt: jeder einzelne Italiener hat eine Meinung zu dem was auf den Tisch kommt, oder kommen sollte. In Büchern ebenso wie anderswo.

Übrigens: die Bücher im Fenster sind verkäuflich, die Cantuccini essen wir selbst...

Thursday 26 May 2011

Alles neu…



Macht bekanntlich der Mai, so auch das Grimms Buchalden Schaufenster. Nachdem sich in meinem Hirn die große Schaufenster-Idee-Leere ausgedehnt hatte, haben wir dieses Mal einen eher schlichten Ansatz: lauter blaue Bücher. Ist auch mal was anderes, sage ich mir.

Inzwischen haben wir Hitzewelle – ich befürchte der Kälteeinbruch folgt zur Strafe im Juni, und schlage dem entsprechend vor, sich schon mal mit dem richtigen Lesestoff zu rüsten. Vor einiger Zeit habe ich im vorbeigehen am Flughafen ein Buch mitgenommen: Chris Cleave „The Other Hand“, auf deutsch als „Little Bee“ erschienen. Was ich mir so zum nebenbei lesen gedacht hatte entpuppte sich als eine exzellent geschriebene Geschichte, die einen so schnell nicht los läßt. Das Thema ist hart, es geht um das Schicksal eines jungen Mädchens aus Nigeria, eine Flüchtlingsgeschichte die auch die Brutalität und Verzweiflung solcher Schicksale enthält, das aber nicht zum Hauptthema macht. Im Augenblick ist diese Art Literatur recht häufig – was mir hier besonders gefiel, ist die undramatische Art mit der die Hauptfigur, Little Bee, erzählt. Sie hat eine ganz eigene Stimme, eine, die man nicht so leicht vergißt. Dabei geht es besonders um die Ohnmacht derer, die Zeugen ihres Schicksals werden, und doch in ihre heile Welt zurückkehren müssen. Wo hört helfen auf, wo fängt es an? Was kommt danach? Eine schwierige Frage. Die meisten von uns sind froh, diese Art Entscheidung nie treffen zu müssen. Wunderschön, auch traurig, aber nicht niederschmetternd.

Wir hatten dieses Buch schon seit einigen Monaten im englischen Original – nun ist es auf die deutsche Bestsellerliste geklettert. Das freut mich! Ein neues Schaufenster gibt es im Juli. Rot? Gelb? Mal sehen…

Sunday 27 February 2011

Frühling: Jetzt!



Seit einer Woche weckt mich die Sonne. Jeden Morgen denke ich – denn die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt – aaach, wie schön, keine Winterjacke! Nun. Der Mensch im Radio hat schlechte Neuigkeiten: Montag -12°C, Dienstag -9°C, Mittwoch -11°C….usw. Inzwischen ist Sonntag und ich habe beschlossen den Frühling herbeizuführen indem ich im Schaufenster damit anfange. So eine Art Regentanz, nur mit Blumen.

Nachdem ich stundenlang alles (inklusive mir selbst) im Laden bemalt habe, ist fraglich inwieweit das Projekt von Erfolg gekrönt ist – es ist zwar wärmer, aber nun ist die Sonne weg. Das Café Goldmarie nebenan hat dennoch begonnen mich bei meiner Aktion zu unterstützen und schon mal hoffnungsvoll die Tische herausgestellt. Also: Wir sind bereit!



Kunden könnten ihrerseits an der Frühling: Jetzt! Kampagne teilnehmen indem sie etwas heiteres lesen. Ich war vor kurzem in den USA und traf dort eine Frau die tatsächlich den ganzen Appalachian Trail gewandert ist. Nun muß man dazu wissen daß der Appalachian Trail einer der längsten Fernwanderwege der Welt ist – 3500km! Zu Fuß! Das dauert. Allerdings ist dem Menschen bekanntlich eine erstaunliche Fähigkeit zu Optimismus und – nun ja – Selbstüberschätzung gegeben. So machte sich Bill Bryson, einer der amüsantesten Reiseautoren überhaupt, eines Tages auf den Weg zum nächsten K-Mart um sich für die 3500km auszurüsten. Was dann folgt, ist so heiter, verrückt, und unsinnig, das man beim Lesen lauthals lachen muß. Trotzdem möchte man am Ende des Buches nur eins: sofort einen Rucksack packen und auf den Trail ziehen. Eine Freude für alle, die es lieben zu wandern, wie auch für die, die sich nichts Schrecklicheres vorstellen können.

Die Cafétische stehen bereit, im Schaufenster scheint die Sonne, fehlen nur noch meine Kunden, die mit einem Buch in der Hand nebenan sitzen.

Also?

Wednesday 12 January 2011

Neues Jahr, neues Fenster



Es ist so weit: das erste Schaufenster des Jahres ist dran. Nachdem ich einige Tage mit seufzen verbracht hatte – so im Stile von: ohhhhh, ich muß das Fenster ändern – oh je, was mache ich nur – oh nein, mir fällt nix ein – bahnte sich ein schwaches Bild an. Das ist in der Realität meist noch sehr vage, fast wie in weiter Ferne. Aus dieser Ferne im Kopf entstand ein einziger Hinweis: dunkelblaues Papier. Für den Hintergrund. Ab zum Hermannplatz, wo es dunkelblaues Papier nicht gab, nur schwarzes – also ist das Fenster nun schwarz weiß, was mir in seiner Strenge gut gefällt.

Inhaltlich geht es diesmal um Lyrik. Das liegt zunächst daran, daß ich es nach gefühlten acht Jahren endlich geschafft habe, neue Gedichtkarten zu produzieren. Die sind teilweise deutsch, teilweise englisch - wieder einmal freue ich mich über das deutliche Interesse meiner (offensichtlich hochintelligenten) Kunden am englischen Original. Meine Lyrik-Laune begann mit einer versehentlichen Entdeckung: ich wollte einer Kundin die schönen Reproduktionen von diversen Kunstwerken im Insel Büchlein „Leise rieselt der Schnee“ zeigen. Dabei las ich zum ersten Mal das Gedicht An deiner Seite von Ernst Penzoldt. Wunderschön! Hier also einige ausgewählte Gedichte von unseren „Grimms Post“ – Karten.

Viel Freude!






An deiner Seite

Ich will
An deiner Seite
Still
Über beschneite
Wege gehen,
tief in das unbekannte Weiße,
und alle Spuren sollen hinter uns verwehn.
Dir werden Flocken leicht im Haare hangen,
in Deinem Lächeln sich verfangen,
in blauem Atem glitzern und zergehn.
Du bist so leise,
als könntest du verstehn,
daß wir schon lange nur auf Flocken schreiten
und endlos fallend aus den Ewigkeiten
ins Grenzenlose sanft herniedergleiten.

Ernst Penzoldt







Dust of Snow

The way a crow
Shook down on me
The dust of snow
From a hemlock tree
Has given my heart
A change of mood
And saved some part
Of a day I had rued.

Robert Frost







Der weiße Reiher

Weiß fällt ein Reiher ein auf herbstlichen See,
Gleich einem Tropfen Tau, der niederweht.
Reglos mein Herz und ihm nur zugewandt,
Der einsam dort am Rande der Sandbank steht.

Li Tai-Bo